26.08.2011. Die werbebedingte Quotenorientierung des ORF ist wie eine Fessel an dessen Bein. Der ORF kann mit seinem Schielen auf die Zuseherzahlen seinen Programmauftrag nur unzureichend wahrnehmen.
Ein Gastkommentar von Corinna Drumm in der Tageszeitung „Die Presse“ vom 26.8.2011.
Unlängst konstatierte der Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell an dieser Stelle das „Ende der österreichischen Mediengemütlichkeit“. Er machte dies fest an der scharfen Kritik, die der Verband der Österreichischen Privatsender am Bewerbungskonzept des nunmehr wiedergewählten ORF-Generaldirektors Alexander Wrabetz geäußert hatte. Anstelle des früher amikalen Verhältnisses, das in medienpolitischen Belangen zwischen den Zeitungsverlegern und dem ORF geherrscht hatte, würde sich nun ein aggressiverer Tonfall bemerkbar machen.
Glücklicherweise ist die Ordnung des Medienmarkts mittlerweile nicht mehr nur ein Thema für Zeitungsverleger und ORF. Seit der österreichische Rundfunkmarkt – im europäischen Vergleich unendlich spät – liberalisiert wurde, seit also private Radiosender und privates Fernsehen in Österreich zugelassen wurden, hat sich eine vielfältige Senderlandschaft entwickelt, die bezogen auf die Größe des Landes ihresgleichen sucht. Die privaten Fernseh- und Radiomacher bieten den Österreicherinnen und Österreichern Tag für Tag ein überaus abwechslungsreiches Programm. Dieses beinhaltet unter anderem aktuelle Nachrichten, lokale und regionale Informationen, politische Diskussionen, Serviceinformationen, Shows, Spielfilme und Unterhaltungsserien. Die Österreicher schätzen dies sehr, wie die laufend steigenden Marktanteile der Privatsender belegen.
Doch dieses Programmangebot kostet auch Geld. Während der ORF seine Sender mit knapp 600Millionen Euro aus Gebühren finanzieren kann und zusätzlich noch gut 200 Millionen Euro aus dem Werbemarkt erlöst, stellt sich die Situation für die Privatsender etwas weniger komfortabel dar. Alle österreichischen Privatsender zusammen erlösen geschätzt weniger als 300 Millionen Euro aus dem Werbemarkt. Die vergangenes Jahr außerdem eingeführte Förderung in Höhe von zehn Millionen Euro ist zwar positiv, fällt bilanziell jedoch letztlich nur sehr gering ins Gewicht. Private Radio- und Fernsehunternehmen sind also praktisch zur Gänze vom zuletzt krisengeschüttelten Werbemarkt abhängig, während der ORF sich über einen sicheren Gebührenpolster freuen kann. Doch das reicht ihm offenbar nicht.
Der ORF-Generaldirektor hat nämlich anlässlich seiner Wiederbewerbung von allen Seiten mehr Geld für den ORF gefordert: inflationsangepasst höhere Rundfunkgebühren von den Österreichern, mehr Geld aus der Staatskasse und zu guter Letzt auch noch mehr Möglichkeiten auf dem Werbemarkt. Diese Forderungen als „abgehoben“ zu kritisieren, so wie es Privatsenderpräsident Klaus Schweighofer getan hat, ist keineswegs „unsinnig“, wie Hausjell kritisiert, sondern bei ansatzweiser Objektivität nur nachvollziehbar. Denn dass eine Ausweitung der Vermarktungsmöglichkeiten des ORF zulasten der privaten Mitbewerber gehen würde, steht außer Frage. Und dass dies angesichts der schon jetzt bestehenden Wettbewerbsverzerrung – siehe oben – für die Privatsender nicht akzeptabel ist, ebenfalls.
Hausjell vermutet in seinem Kommentar, dass der Privatsenderverband den Unterschied zwischen „Public Value Management“ (womit hier wohl das Management eines öffentlich-rechtlichen Senders gemeint ist) und dem Management eines privaten Medienunternehmens nicht kennt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Privatsender sind seit jeher für eine klare Differenzierung zwischen dem öffentlich-rechtlichen Teil des Rundfunkmarkts und dem der Privatsender, vor allem im Hinblick auf die Finanzierung. Aufgrund des spezifischen Auftrags des ORF ist dieser anderen Zielen verpflichtet als private Medienunternehmen. Sein primärer Auftrag ist es, ein differenziertes Programm anzubieten, das sich an der Vielfalt der Interessen aller Hörer und Seher zu orientieren und sie ausgewogen zu berücksichtigen hat. Mehr noch: In Inhalt und Auftritt hat der ORF auf die Unverwechselbarkeit mit privaten Mitbewerbern zu achten.
Dieses Ziel steht jedoch im diametralen Gegensatz zu den Zielen, die sich aus der Vermarktung von Werbung ergeben. Hier steht die Quotenmaximierung im Vordergrund. Öffentlich-rechtliches Programm ist jedoch nicht durchgängig marktfähig bzw. quotenstark. Da es aber im Interesse der Allgemeinheit liegt, muss es durch Staatsmittel – hier: Gebühren – finanziert werden. Die umfassende Erfüllung des Programmauftrags ist mithin die Legitimationsgrundlage für die Belastung der österreichischen Haushalte mit den monatlichen Rundfunkgebühren zwischen 18,61 und 23,71 Euro. Ob dieser Auftrag vollständig erfüllt wird, darf angesichts etwa der Fülle an völlig verwechselbaren US-Serien und -Filmen auf ORF eins oder der nur in geringen Dosierungen vorhandenen, öffentlich-rechtlichen Inhalte etwa auf Ö3 durchaus hinterfragt werden.
Zu Recht stellt Hausjell in seinem Kommentar fest, dass medienpolitische Fragestellungen an Komplexität gewonnen haben. Auf den ORF kommen technologische, gesellschaftliche und finanzielle Herausforderungen zu, die es zu meistern gilt. Österreich braucht einen starken und unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Damit der ORF dies wird, ist er nicht nur von politischen Interessen unabhängiger zu machen, sondern auch von wirtschaftlichen. Die derzeitige Abhängigkeit des ORF vom Werbemarkt ist jedoch für die Entwicklung einer klaren öffentlich-rechtlichen Programmidentität wie eine Fessel am Bein. Die österreichische Medienpolitik wäre gut beraten, wenn sie den gleichen Weg einschlagen würde wie bereits viele andere europäische Mitgliedstaaten: die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Senders Schritt für Schritt werbefrei zu machen und den ORF aus der Geiselhaft der Quote zu befreien.