24.04.2013. Der Bundeskommunikationssenat (BKS) hat heute die erstinstanzliche Entscheidung der KommAustria zur mangelnden Ausgewogenheit des ORF-Fernsehprogramms für den Zeitraum Januar bis August 2011
in zweiter Instanz bestätigt. Diese ging auf eine Beschwerde des Verbands Österreichischer Privatsender (VÖP) zurück, wonach das Fernsehprogramm des ORF nicht die gesetzlich geforderte Ausgewogenheit aufwies. Dass der BKS die Beschwerde hinsichtlich eines Teils des ursprünglich ausgewerteten Zeitraums abgewiesen hat, hat lediglich formale Gründe und ändert nichts daran, dass die inhaltliche Wertung der Behörde auch für das Jahr 2010 zutreffend ist.
Darüber hinaus hat der BKS den Zugang der KommAustria, dass sich aus der gesetzlichen Anordnung eines angemessenen Verhältnisses der Kategorien zueinander eine – auch mathematisch berechenbare – Obergrenze für eine Programmkategorie (im konkreten Fall „Unterhaltung“) ableiten lässt, vollinhaltlich bestätigt. Davon, dass einer quantitativen Überprüfung der Ausgewogenheit („TV-Programmierung mit der Stoppuhr“) eine Absage erteilt worden ist, kann also keine Rede sein.
Der Argumentation des ORF, dass eine rein quantitative Analyse nicht zulässig wäre und diese durch eine inhaltliche Analyse jeder einzelnen Sendung ergänzt werden müsse, konnten weder KommAustria noch BKS folgen. Auch das im Berufungsverfahren vom ORF vorgelegte Gutachten von Prof. Hannes Haas überzeugte den BKS nicht. Vielmehr war für den BKS nicht ersichtlich, „warum der Gutachter Haas im jüngsten ‚zugunsten‘ des ORF vorgelegten Gutachten (…) davon ausgeht, dass eine Einteilung in Kategorien nur im Wege detaillierter Inhaltsanalysen möglich wäre. Solange sich derartige Zurechnungen sachlich begründen lassen, besteht auch für eine Regulierungsbehörde kein Anlass, eine eigene Vorstellung über den Gehalt einer Kategorisierung zu entwickeln und dem ORF zur Einhaltung vorzuschreiben.“
Wäre eine rein quantitative Analyse nicht zulässig, so wäre diese gesetzliche Bestimmung schlicht nicht mehr überprüfbar: „Folgte man andererseits der (…) vertretenen Auffassung des Haas-Gutachtens über die Unmöglichkeit der ‚hinreichenden Messung‘ der Auftragserfüllung in den vier einzelnen Kategorien, so führte dies dazu, dass die ‚Leistungen‘ des ORF gar nicht – auch nicht in der vom Gesetzgeber offenbar intendierten ‚längerfristigen Durchschnittsbetrachtung‘ – dahingehend überprüfbar wären, ob sie den Vorgaben des Gesetzes entsprechen oder nicht.“, so der BKS.
Auch der vom ORF geforderten, extrem weiten Auslegung des Kulturbegriffs schloss sich der BKS nicht an. Der BKS konnte vielmehr „…den Gedankengang nicht nachvollziehen, warum (…) das ORF-G zwingend von einem überaus weiten Kulturbegriff ausgehen und so auch populäre Musik, Karneval, sonstiger Nonsens oder auch fiktionale Serien oder Filme, wenn diese wegen ihrer Produktionsart oder ihres Regionalbezugs gewisse soziokulturelle Bezüge aufweisen, erfasst sein sollen.“
Im Hinblick auf den Kulturbegriff geht der BKS davon aus, dass diesem „…eine akzentuierte Bedeutung im Sinne des ‚Bildungsauftrags‘ des ORF beizumessen ist.“ Der BKS gibt daher auch hier der KommAustria recht: „Die KommAustria hat jedenfalls zutreffend aufgezeigt, dass das vom ORF zugrunde gelegte weite Verständnis dazu führte, dass ‚im Endeffekt alle menschlichen Leistungen und Erschaffungen und somit das gesamte Fernsehprogramm als Kultur bezeichnet‘ werden müssten.“
Auch im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs Kultur ist der BKS nicht dem Gutachten von Prof. Haas gefolgt, das sich für eine extrem weite Auslegung des Kulturbegriffs aussprach: „Insofern lässt sich auch – anders als dies das Haas-Gutachten nahezulegen scheint – nicht jegliche Rock-/Pop-/Schlagermusik und auch nicht jeder Show-Song-Contest (mag er allenfalls auch eurovisionär sein) der (…) Kategorie Kultur zurechnen. Warum Videoclips von Peter Rapps Da Capo zwingend für sich in Anspruch nehmen könnten, dem beschriebenen Verständnis von Kultur zugerechnet zu werden, lässt selbst das Haas-Gutachten (…) offen.“ Es kann daher, so der BKS weiter, „keine Rede davon sein, dass die Erfassung der Tragweite des im ORF-G verwendeten Kulturbegriffs – wie dies das Haas-Gutachten darzutun scheint (…) – unmöglich, weil zu heterogen ist.“
Die Befürchtungen des ORF im Hinblick auf geringe Marktanteile bei zu viel Kulturinhalten weist der BKS zurück: Selbst bei einem Kulturverständnis „im klassischen Sinn“ wären auch massenattraktive Kulturinhalte erfasst und es könne „daher keine Rede davon sein kann, dass das Angebot des ORF zu einem mit marginalen Quoten kämpfenden Nischenprogramm reduziert würde.“ Vielmehr findet der BKS „keine wie immer gearteten Anhaltspunkte dafür (…), dass unter den Begriff Kultur schon jegliches mehr oder minder originelle Lustspiel oder jede Comedy zu subsumieren oder auch jegliche Darstellung der Liebes-, Alltags- und Stadtkultur als Erfüllung des ‚Kulturauftrags‘ anzusehen ist.“
Festzuhalten ist auch, dass der BKS die Sachverhaltsfeststellungen der KommAustria unverändert übernommen hat. Damit basiert die zweitinstanzliche Entscheidung des BKS im Wesentlichen auf dem von der RTR beauftragen Gutachten von Dr. Jens Woelke.
Aufgehoben hat der BKS die Entscheidung der KommAustria, dass ORF eins und ORF 2 keine Vollprogramme seien. In diesem Punkt setzt sich der BKS ausführlich mit den juristischen Argumenten der KommAustria auseinander und kommt zu einem abweichenden Ergebnis. Der VÖP wird diese Begründung genau analysieren; es spricht viel dafür, diese für die Programmierung der Vollprogramme des ORF essenzielle Frage von den Höchstgerichten klären zu lassen.
Siehe zu diesem Thema auch die vorherige Presseaussendung des VÖP