30.09.2011. Der Verband Österreichischer Privatsender hat eine Beschwerde bei der KommAustria eingereicht, weil er der Meinung ist, dass die vom Gesetz geforderte Ausgewogenheit des ORF TV-Programms, bestehend aus

Information, Kultur, Unterhaltung und Sport, nicht gegeben ist und der ORF nicht – wie vom Gesetzgeber gefordert – auf die Unverwechselbarkeit zu den kommerziellen Sendern achtet.

Die Beschwerde stützt sich zum einen auf eine langfristige und detaillierte Analyse der Programmstruktur des ORF TV-Programms, zum anderen auf eine Untersuchung der parallel- oder gegenprogrammierten Serien und Spielfilme, die vom ORF ausgestrahlt werden, obwohl sie auch in privaten Sendern zu sehen sind.

Öffentlich-rechtlicher Kernauftrag des ORF
Zentrale Bestandteile des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags sind zum einen ein differenziertes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport. Das Angebot hat sich an der Vielfalt der Interessen aller Hörer und Seher zu orientieren und sie ausgewogen zu berücksichtigen. Die Anteile am Gesamtprogramm haben in einem angemessenen Verhältnis zueinander zu stehen. (§ 4 Abs 2 ORF-G)

Außerdem ist im Wettbewerb mit den kommerziellen Sendern in Inhalt und Auftritt auf die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen österreichischen Rundfunks zu achten. (§ 4 Abs. 3 ORF-G)

Langfristige Programmstrukturanalyse
Die RTR Rundfunk und Telekom Regulierungs GmbH hat bereits mehrfach die Programmstrukturen einzelner Sender anhand beispielhafter Sendewochen untersucht (die Berichte finden sich hier, hier und hier).  Um dem Einwand zu begegnen, dass dies bloß Momentaufnahmen ohne Aussagekraft sind, hat der VÖP nun umfangreiche Strukturanalysen des ORF TV-Programms für die Zeiträume 1-12/2010 und 1-8/2011 durchgeführt.

Analysemethode
Basis für die Zusammenstellung war die vom ORF selbst vorgenommene Zuordnung jedes Programmelements zu einer von etwa 270 vorgegebenen Programmkategorien im Rahmen der Fernsehforschung. Diese Kategorien wurden sodann den vier in § 4 Abs 2 ORF-G geforderten Programmbereichen Information, Kultur, Unterhaltung und Sport zugeordnet. Zusätzlich wurde eine weitere Kategorie Sonstiges eingeführt, in der z.B. Werbung, Programmtrailer oder Wetterpanorama beinhaltet sind.

Ergebnisse
Interessant ist vor allem der Blick auf ORF eins: Klar ersichtlich ist, dass Unterhaltungsangebote das Programm von ORF eins dominieren (und auch den überwiegenden Programminhalt von ORF2 darstellen). Fast 20%-Punkte entfallen bei ORF eins auf amerikanische Serien; etwa 17%-Punkte entfallen auf Kinder- und Jugendsendungen, davon über 7%-Punkte auf Zeichentrickserien oder -filme. Informationsinhalte spielen dagegen auf ORF eins quantitativ kaum eine Rolle, Kultur kommt praktisch nicht vor.

Vergleich mit anderen Sendern
Zu Vergleichszwecken wurden auch die Daten für den Zeitraum Januar bis August 2011 für die Sender RTL (Österreich), ATV, PULS4, ProSieben Austria, ARD und ZDF analysiert und mit jenen für ORF eins und ORF 2 verglichen. Dabei wurde zum einen die Gesamtsendezeit von 24 Stunden pro Tag analysiert, zum anderen auch die Hauptsendezeit am Abend, die die stärksten Nutzungswerten aufweist. Nachfolgend werden die Bereiche Information und Unterhaltung etwas genauer beleuchtet.

Information
Dabei zeigt sich, dass der Informationsanteil von ORF eins über den Gesamtsendetag hinweg weit unter fast jedem der Vergleichswerte liegt. ORF2 hat zwar mehr Information als die untersuchten Privatsender, liegt jedoch noch immer weit unter ARD und ZDF.

Unterhaltung
ORF eins hat einen höheren Unterhaltungsanteil als fast alle untersuchten Privatsender. Auch in der Hauptsendezeit zeigt ORF eins mehr Unterhaltung als fast alle Privatsender. Im Vergleich zu ARD und ZDF liegt ORF eins um etwa 25 %-Punkte darüber, zeigt also um die Hälfte mehr Unterhaltungsinhalte als die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender.

Parallel- und Gegenprogrammierung
Wie bereits in den von der RTR beauftragten Programmanalysen aufgezeigt, hat der ORF in den letzten Jahren vermehrt sein Wettbewerbsverhalten gegenüber den privaten kommerziellen TV-Veranstaltern so gestaltet, dass regelmäßig die gleichen Programminhalte, zeitweise sogar zeitgleich, ausgestrahlt werden („Gegenprogrammierungen“). Je größer jedoch der Anteil derjenigen Programmelemente ist, die sowohl beim ORF als auch bei Privatsendern gleich sind, umso verwechselbarer ist auch das ORF-Programm.

Basierend auf umfassenden Marktbeobachtungen wurde festgehalten, dass es im ORF im Gesamtjahr 2010 im Vergleich zu zwei der größten Privatsender in Österreich insgesamt etwa 980 direkt gegenprogrammierte Ausstrahlungen von Eigenproduktionsserien gab, zusätzlich zirka weitere 820 direkt gegenprogrammierte und etwa 2.260 indirekt gegenprogrammierte Ausstrahlungen von Lizenzserien gab. Zusammen ergibt dies über 4.000 Ausstrahlungen von Serien im ORF, die zusätzlich auch auf (nur) zwei Privatsendern zu sehen waren. Hierzu kommen noch die Serien-Gegenprogrammierungen auf weiteren Privatsendern.

Dazu kamen noch durchschnittlich etwa 60 direkte oder indirekte Gegenprogrammierungen von Spielfilmen, die sowohl im ORF als auch in einem der empfangbaren Privatsender gezeigt wurden.

Der ORF hat demnach im Durchschnitt über das Gesamtjahr hinweg jeden Tag mindestens 11 Sendungen ausgestrahlt, die auch in einem Privatsender zu empfangen waren. Dieses Ergebnis veranschaulicht, wie schwer – abgesehen von der Senderkennung – für den durchschnittlichen Zuseher festzustellen ist, ob er „unverwechselbares, öffentlich-rechtliches ORF-Programm“ sieht, da bei durchschnittlich zumindest 11 Sendungen pro Tag dasselbe Programm wie auf einem der privaten Sender zu sehen ist.