26.04.2023. Nach monatelangen Gesprächen haben Bundesministerin Raab und Klubobfrau Maurer heute das Gesetzespaket zu Finanzierung und Onlineangebot des ORF präsentiert. Das Gesetzespaket stärkt nicht den Medienmarkt als Ganzes, sondern in erster Linie den ORF: Dieser soll nicht nur weitreichende Online-Freiheiten erhalten, auch sein Budget wird deutlich erhöht, indem die Beitragspflicht ausgeweitet wird. Dass dadurch die Entwicklungsmöglichkeiten aller privaten Medien in Österreich signifikant beschränkt werden, und die Lebensgrundlage privater Radio- und TV-Sender noch stärker unter Druck gerät, nimmt die Regierung offenbar in Kauf.
Viel diskutierte Verpflichtungen des ORF zu Einsparungen oder Leistungseinschränkungen sind nicht oder nur kaum erkennbar. Der ORF soll sein Angebot im Gegenteil sogar ausweiten, u.a. im Social-Media-Bereich. Die Erlaubnis, neue Inhalte unabhängig von TV- und Radioprogrammen ausschließlich für das Onlineangebot zu produzieren, wird die dominante Position des ORF im Online-Markt noch zusätzlich verstärken, analysiert Corinna Drumm, Geschäftsführerin des Verbands Österreichischer Privatsender (VÖP): „Der ORF ist bereits mit Abstand der größte Medienanbieter Österreichs, nicht nur im Rundfunk, sondern auch im Online-Bereich. Die geplante Stärkung seiner Dominanz schadet der Medienvielfalt in Österreich, vor allem mit Blick in die Zukunft. Das ist nicht sinnvoll und demokratiepolitisch problematisch.“
„Wir anerkennen die Bemühungen der Medienministerin um eine ausgeglichene Lösung.“, hält Christian Stögmüller, VÖP-Präsident und Geschäftsführer von Life Radio, fest. „Dennoch stellt sich das Ergebnis für uns sehr dramatisch dar: Der ORF erhält mit der geplanten Gesetzesänderung das Geld und alle Freiheiten, um den privaten Rundfunkmarkt noch stärker an den Rand zu drängen.“ Denn bis auf einige wenige Zugeständnisse wurden die Forderungen der Privatsender nach Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz des Wettbewerbs nicht umgesetzt.
Die Überlegenheit des ORF soll weder durch spürbare Vermarktungseinschränkungen noch durch andere Maßnahmen, wie etwa eine Reduktion der kommerziellen Programmanteile von ORF1 und Ö3, ausgeglichen werden. „Jetzt, wo jede Österreicherin und jeder Österreicher für den ORF zahlen soll, muss doch sichergestellt werden, dass er ausnahmslos öffentlich-rechtliche Inhalte anbietet“, fordert Corinna Drumm.
Markus Breitenecker, stellvertretender VÖP-Präsident und Geschäftsführer von PULS4 und PULS24, kommentiert: „Der ORF sollte mit seinem Verhalten am Markt nicht die privaten Anbieter übermäßig konkurrenzieren dürfen, sondern er soll den Medienstandort aktiv fördern. Dazu gehört neben dem Bereich Content auch, dass der marktschädigende Druck des ORF im Werbemarkt durch gesetzlichen Eingriff reduziert wird. Die Umstellung und Ausweitung der ORF-Finanzierung bietet dafür eine Chance und ist eine EU-rechtliche Notwendigkeit.“
Alexander Winheim von ServusTV, zweiter stellvertretender VÖP-Vorsitzender, ergänzt: „Das Gesetzespaket stärkt den ORF und schwächt alle anderen Medien in Österreich. Wir fordern wirksame Gegenmaßnahmen, die die Finanzierbarkeit von privatem TV und Radio für die Zukunft besser absichern – allem voran ein Ende der intransparenten und marktschädigenden Durchrechnungszeiträume für ORF-Werbung.“
„Der Vorschlag ist in vielen Teilbereichen schlecht für die Vielfalt und die Qualität des Medienangebots, schlecht für die Pluralität von Meinungen und Inhalten, und damit schlecht für alle. Wenn es nicht noch deutliche Nachbesserungen gibt, werden wir Privatsender uns mit allen Mitteln dagegen wehren.“, hält Mario Frühauf, Geschäftsführer von kronehit, fest.
„Das Paket aus neuen Online-Freiheiten und der Ausweitung der Finanzierung verzerrt den Markt in Österreich. Dies betrifft nicht nur den Rundfunkmarkt, sondern es hat auch weitreichende Auswirkungen auf den Zeitungsmarkt und in weiterer Folge auf die Medienlandschaft als Basis einer pluralistischen Meinungsbildung in einer funktionierenden Demokratie.“, fügt Lorenz Cuturi, Geschäftsführer von TV1 Oberösterreich, hinzu.
„Es ist für mich völlig unverständlich, dass der ORF ungebremst mit seinem kommerziellen Programmangebot weitermachen kann, sich im Online-Bereich ausbreiten darf und für all das sogar noch mehr Geld erhält. So wird die wirtschaftliche Lebensgrundlage frei finanzierter Medien in Österreich zerstört.“, kommentiert Gottfried Bichler, Geschäftsführer von Antenne Steiermark, Antenne Kärnten und Radio Flamingo.
„Ich verstehe nicht, warum der ORF in seinen Social-Media-Aktivitäten unbeschränkt bleibt. Die ORF-Reichweite in der jungen Zielgruppe ist ohnehin sehr hoch. Soll er gesellschaftsschädigende Plattformen nun auch noch fördern, indem er ihnen seine Qualitätsinhalte zur Verfügung stellt?“, hinterfragt Ralph Meier-Tanos, Geschäftsführer von Radio 88.6.
„Die Situation der Privatsender ist aufgrund des wirtschaftlichen Drucks durch die großen internationalen Plattformen ohnehin extrem schwierig. Die vorgeschlagenen Maßnahmen erhöhen diesen Druck, anstatt den Medienmarkt zu entlasten. Die vorgesehene Reduktion der ORF-Radiowerbezeit wird keinen spürbaren positiven Effekt haben, sie fällt einfach zu gering aus.“, so Alexander Wagner, Geschäftsführer von Radio Energy.
Bernhard Albrecht, Geschäftsführer von ATV, bezweifelt die Wirksamkeit der geplanten Kontrollmechanismen: „Der Erlös aus dem ORF-Beitrag wird weit über dem bisherigen Erlös aus Programmentgelten liegen. Umso wichtiger ist es, dass es eine Kontrolle der ORF-Finanzgebarung gibt, die mindestens so effektiv ist wie jene der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs von ARD und ZDF in Deutschland.“
Der VÖP appelliert eindringlich an die Bundesregierung, die Konsequenzen des ORF-Pakets für den gesamten Markt stärker zu berücksichtigen und dringend notwendige Änderungen vorzunehmen: Die Digitalfreiheiten müssen marktverträglich sein, eine Überfinanzierung des ORF ist auszuschließen und die kommerzielle Konkurrenz durch den ORF ist in sämtlichen Bereichen seines Angebots deutlich zu reduzieren. Radio, TV und Online sollten frei von rein kommerziellen Programminhalten sein und die Werbeintensität ist spürbar zu reduzieren, insbesondere durch ersatzlose Streichung von langen Durchrechnungszeiträumen.